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23.2.16 Nürtinger Stattzeitung und Nürtinger Zeitung über ein Podiumsgespräch mit den Landtagskandidaten - veranstaltet von BUND, NABU, Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und Forum Zukunftsfähiges Nürtingen - moderiert von Thomas Oser

pm) Das abwechslungsreiche Format der von BUND, NABU, Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und Forum Zukunftsfähiges Nürtingen organisierten Podiumsdiskussion am Donnerstag letzter Woche ließ die zwei Stunden dauernde Veranstaltung wie im Flug vergehen. Schon die Eingangsfragen des Moderators Thomas Oser versprachen spannende Antworten: "Was halten Sie von Papst Franziskus?", fragte Oser den evangelischen CDU-Kandidaten Thaddäus Kunzmann. Dieser begrüßte es, dass nun jemand an der Spitze der katholischen Kirche sei, der auch die Mehrheit der Katholiken vertrete, die inzwischen in den Ländern des Südens lebe. "Postwachstumsökonomie oder Grünes Wachstum?“, lautete die Frage mit der sich Ingrid Grischtschenko konfrontiert sah. Grischtschenko, die in Vertretung von Winfried Kretschmann für die Bündnis 90/Die Grünen auf dem Podium saß, zeigte sich überzeugt, auf grünes Wachstum zu setzen, bei dem die Produktivität vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt ist. Um eine Glaubenssache ging es auch bei Michael Brodbeck (FDP), als Oser ihn nach der unsichtbaren Hand des Marktes fragte. Während sich Brodbeck von ihrer positiven Wirkung überzeugt zeigte, hielt es Sebastian Schöneck (SPD) eher mit dem sozialdemokratischen Querdenker Erhard Eppler und zeigte sich in dieser Frage skeptisch.

Auch im zweiten Teil der Veranstaltung hieß es für die Kandidaten Stellung zu beziehen: "Wir haben nicht genug Flächen, um unseren derzeitigen Energiehunger regenerativ zu stillen; der Verbrauch muss in erheblichem Maß gesenkt werden; der steigende Komfort frisst in allen Bereichen die Einsparungen auf, die durch technische Effizienzsteigerungen erreicht wurden; wir müssen zu einem sozial verträglichen Energiesystem kommen", mit diesen Kernaussagen forderte Sven Simon vom Forum Zukunftsfähiges Nürtingen die Kandidaten heraus, ihre Strategien gegen den Klimawandel darzulegen. Interessant war die - mit parteipolitisch gefärbten Nuancen - grundsätzliche Übereinstimmung der Kandidaten, dass den regenerativen Energien die Zukunft gehöre. Michael Brodbeck, der sich selbst als 'grünen Flügel der FDP' bezeichnet, gab zu, dass er dazu gelernt habe und inzwischen zu den Kernkraft-Gegnern konvertiert sei: Denn Atomkraft sei "kein Lagerfeuer, das man einfach austreten kann" und damit auch für ihn nicht mehr verantwortbar. Neben der hohen Bedeutung der Energieeffizienz brachte der eloquente Youngster unter den Kandidaten, Sebastian Schöneck, einen interessanten Aspekt ins Spiel: Bei öffentlichen Vergaben solle nicht nur nach dem günstigsten Bieter sondern nach ökologischen und sozialen Aspekten entschieden werden.

Mit ihrem zweiten Statement richteten die Veranstalter den Blick auf den Flächenverbrauch: "Wir sehen den Erhalt von Natur und Umwelt als nicht mehr gegeben an; der Flächenverbrauch muss bis 2020 von derzeit rd. 10 Hektar pro Tag auf 3 Hektar reduziert werden" formulierte Christian Tilk vom BUND Nürtingen als Diskussionsgrundlage. Thaddäus Kunzmann sieht derzeit andere Probleme im Vordergrund. Wohnraum sei definitiv eine Mangelware und man könne dem nicht ohne Baulandausweisung gegensteuern. Aber man müsse auch an die zahlreichen Leerstände herangehen. In diesem Zusammenhang sei auch zu prüfen, ob das Mietrecht entsprechend flexibler gestaltet werden könne, um Vermietern entgegenzukommen. Für Michael Brodbeck sieht die Wohnungslandschaft der Zukunft städtischer aus: verdichteter und mit mehr Stockwerken. Er sehe aber auch den Straßenbau als Flächenfraß-Problem, bei dem die Grenzen erreicht seien und es klügerer Konzepte bedürfe.

Im dritten Teil des Abends waren die rund 60 Zuschauer der Podiumsdiskussion gefragt: Sie konnten Themen benennen, die ihnen unter den Nägeln brennen. Aus den Publikumsvorschlägen wurden per Abstimmung zwei Themenbereiche - Landwirtschaft/Landschaftspflege und Bildungspolitik – ausgewählt, zu denen sich dann wieder  die Kandidaten positionieren mussten. Ingrid Grischtschenko wies auf die notwendige Verknüpfung von Landwirtschaft und Landschaftspflege hin, sollte es gelingen, die gerade in Baden-Württemberg noch vorhandene vielfältige Kulturlandschaft zu erhalten. Sebastian Schöneck sieht den Generationenwechsel hier als größtes Problem: Nur wenn regionale Produkte und die Selbstverwertung entsprechend stark gefördert würden, könne es gelingen, dass auch die Jüngeren sich für unsere wertvolle Kulturlandschaft, wie beispielsweise die Streuobstwiesen, einsetzten. Übereinstimmend sah das Podium hier die Verbraucher in der Pflicht, über ihr Kaufverhalten einen Beitrag zu leisten.

Beim zweiten Publikumsthema, der Bildungspolitik, standen die Gemeinschaftsschulen im Mittelpunkt der Diskussion. Die meisten wünschten sich den 'Schulfrieden'; wie dieser erreicht werden kann, daran schieden sich dann allerdings die Geister. Klar zu erkennen war die ablehnende Position von Thaddäus Kunzmann. Ingrid Grischtschenko und Sebastian Schöneck warben für eine Fortführung des unter ihrer Regierungsverantwortung eingeschlagenen Weges, für eine abschließende Beurteilung sei es noch zu früh.

Zum Schluss der Diskussion konnten die Kandidaten noch jeweils eine Frage, die ihnen am Herzen lag, an das Publikum stellen. Michael Brodbeck wünschte sich Ideen, wie man die Bürgerinnen und Bürger dazu bewegen kann, sich stärker politisch einzubringen. Ums Geld ging es bei der Frage von Thaddäus Kunzmann, der wissen wollte, wie die Zuhörer zur Schuldengrenze stehen und was sie für ihre Einhaltung in Kauf nehmen würden. Wie der gesellschaftliche Zusammenhang stärker gefördert werden kann, wollte Sebastian Schöneck wissen. Um die Ecke gedacht war die Frage "Was meinen Sie, wie viele NT-KFZ-Zeichen wurden gekauft?" von Ingrid Grischtschenko, ging es ihr doch darum, deutlich zu machen, dass es von den Themen anhänge, ob es gelingt, die Leute zum Handeln zu bewegen.
Mit der Hausaufgabe, den Kandidaten per E-Mail die Antworten auf ihre Frage zu liefern, verabschiedete Thomas Oser die Zuschauer.