Dürfen wir Tiere essen?

Das denk-art-Café in der Alten Seegrasspinnerei beschäftigte sich mit der Beziehung zwischen Mensch und Tier

11. März 2016 Nürtinger Zeitung

Dass wir Menschen die Krönung der Schöpfung sind, daran hatte schon Franz Kafka seine Zweifel: In seinem „Bericht an eine Akademie“ lässt er Rotpeter, einen zum Menschen dressierten Affen, vor ein gelehrtes Publikum treten und über seine Lebensgeschichte berichten. Am vergangenen Sonntag schlüpfte der Schauspieler Helmut Grygiel  zu Beginn des denk-art-Cafés in die Rolle des Rotpeter und trug eine Passage aus Kafkas Text eindrucksvoll vor.
Kafka beklagt in seinem Text bekanntlich nicht nur, wie wir Menschen mit Affen und anderen Tieren umgehen, er teilt gewissermaßen auch die These Darwins, wonach wir Menschen vom Affen abstammen. Diese Auffassung erläuterte sodann Eckard Schöck, der in Nürtingen aufgewachsen ist und nun in Freudenstadt als Arzt praktiziert: Er fasste die Evolutionstheorie prägnant zusammen und vertrat auch selbst die These, dass wir Menschen nur ein Lebewesen unter anderen und gänzlich in die Natur eingebunden seien.
Demgegenüber stellte der denk-art-Moderator Thomas Oser die Sonderstellung des Menschen in der Welt heraus. Er rekurrierte dabei vor allem auf Max Scheler und Helmut Plessner, die zu Beginn und Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als Antwort auf Darwin herausgestellt hatten, dass der Mensch nicht auf seine natürliche Abkunft reduziert werden könne. Die beiden philosophischen Anthropologen sahen das Besondere des Menschen unter anderem darin, dass er sich zu sich selbst frei verhalten könne, dass er weltoffen sei und somit in seiner ihm vorgegebenen Umwelt nicht aufgehe, sondern diese kulturell überforme.
Die rund vierzig Gäste des denk-art-Cafés tendierten allerdings mehrheitlich eher zur Position Darwins, was sich auch daran zeigte, dass die Diskussion zeitweise einem Hase-Igel-Wettrennen glich: Wenn jemand den Menschen über die Tiere stellte – sei es durch seine Sprachfähigkeit, sein soziales Verhalten, sein Staunen oder seine Kochkultur – entgegneten sogleich jemand anderes, dass eben dieser scheinbare Vorzug auch bei irgendeinem Tier ansatzweise zu finden sei. Darüber hinaus wurde ganz grundsätzlich in Frage gestellt, ob wir schon über die wahren Fähigkeiten der Tiere und die „Weisheit der Natur“ wirklich Bescheid wüssten.
Nachdenklich stimmte der Beitrag eines Gastes, wonach die Sonderstellung des Menschen weniger in seinen Vorzügen als vielmehr in seiner Fähigkeit läge, sich und seine Umgebung zu zerstören. Darauf hatte schon Plessner mit seiner These hingewiesen, dass der Mensch sich im Unterschied zum Tier „entmenschlichen“ könne.
Im zweiten Teil des Café verlagerte sich das Gespräch dann an die einzelnen Tischen: Ausgehend von der vorangegangenen Diskussion tauschte man sich in kleinen Runden zu der Frage aus, ob man Tiere essen dürfe. Wie sich danach herausstellte, waren die Meinungen darüber geteilt. Einige verschärften sogar die Frage, indem sie auch den Verzehr von Tierprodukten für bedenklich hielten, weil auch dadurch den Tieren Leid angetan würde.
Einig war man sich darin, dass keiner zu einem bestimmten Essverhalten gezwungen werden sollte. Allerdings sollte jeder, der Fleisch verzehre, darauf achten, dass den Tieren durch die Haltung und das Töten nicht unnötiges Leid widerfahre. Zu bedenken wurde auch gegeben, dass man mehr Menschen auf der Welt ernähren könne, wenn weniger Fleisch produziert würde. Auch dies sei unter einem ethischen Gesichtspunkt nicht zu vernachlässigen.
Zum Ende des denk-art-Cafés sangen Charlott und Bamba Amsberg einfühlsam das jiddische Lied „Donna Donna“, welches von einem Kälbchen und einer Schwalbe erzählt: Während  ersteres gefesselt zur Schlachtbank geführt wird, schwingt sich die Schwalbe frei in die Lüfte auf. Der Text dieses Liedes sollte deutlich machen, dass wir uns so, wie wir uns zu Tieren verhalten, auch gegenüber unsereins und letztlich auch zu uns selbst verhalten.