Vom gelungenen Umgang mit der Zeit

Pforzheim: In einer Matinee sprach der Philosoph Thomas Oser im Wechsel mit der Klangkünstlerin Alexandra Ott von den positiven Chancen der Entschleunigung.

Leonberger Kreiszeitung vom 8.3.17 - Von Sylvia Hüggelmeier

 

Wir sind Getriebene, haben immer weniger Zeit, rennen  dem Geld hinterher, auch dem, das wir es in der Freizeit ausgeben.. In einer ökonomisierten Welt der zunehmenden Beschleunigung bleibt der Mensch zunehmend auf der Strecke. So, kurz gefasst, diagnostiziert Thomas Oser die Krise unserer Zeit. Was kann der Einzelne dagegen tun?  Das Heil liege  nicht nur in der   häufig ein geforderten  Entschleunigung, betont der Philosoph schon am Anfang, denn die könne gerade bei kreativen Prozessen zu einer Blockade führen.

Davon nicht betroffen  sind die sieben Künstler in der großen Halle des Reuchlinhauses,in der die Matinee stattfindet. Die aktuelle Ausstellung  „immer.wieder“ hat damit zu tun, wonach wir uns sehnen, dem  Anhalten und Ausdehnen der Zeit, der langen Weile, die mit Langeweile nicht zu verwechseln ist. Wenn man ein Ohr dafür hat und sich darauf einlässt, sorgt auch die Klangkünstlerin Alexandra Ott  mit ihren Instrumenten für Entschleunigung und   eine meditativen Stimmung. Mit der Sruti- Box au Indien, dem Muschelhorn aus Taiwan und zahlreichen anderen Klangkörpern aber auch mit der eigenen, ganz zurückgenommene Stimme stimmt sie buchstäblich auf die einzelnen Aspekte des Vortrags ein.

Wie also können wir aus dem Hamsterrad aussteigen, wie unsere „Eigenzeit“ wie es der Philosoph Safranski genannt hat, nutzen? Die Antwort von Thomas Oser scheint einfach, ist es aber nicht . „Sich losreissen“ mit „Lassenskraft“ lautet die Empfehlung, die Suchtdynamik überwinden  und sich eine andere Überlebens-Strategie überlegen. Zwei Philosophen des 19. Jahrhunderts beflügelten die Gedanken von Thomas Oser, Schelling, der vom „Willen, der nichts will“ sprach und Schopenhauer, der den Willen verneinte wie kein anderer. Wenn man in diese Richtung denkt, kommen auch die Stoiker der Antike, vor allem Seneca  ins Spiel. Loslassen und Verweilen haben mit Muße zu tun,  und die, so Oser „ist ein kostbares Gut in einer Gesellschaft, in der auch noch das abseitigste Gut zu einer Ware, zu Geld gemacht wird“.

Und jetzt endlich hat der Referent ein gutes Rezept parat, beschreibt die Muße als „ästhetisches Verweilen“ und fordert uns zum Kunstgenuss auf. Mit „Kultur ist Reichtum, Reichtum aber nicht Kultur“, zitiert er den der Dirigenten Claudio Abbado. Und das würden die Besucher dieser Matinee sofort unterschreiben . Schließlich sind es die sogenannten „Kulturbürger“,die Orte und Veranstaltungen wie die des Kunstvereins häufig besuchen. Und sie  wissen im Allgemeinen, dass  die „Intensivierung des Kunsterlebens“ sich ereignen kann wie ein „zwangloses Fortschreiten“, doch die „Erfahrung von wahrhafter Unendlichkeit“ (Thoman Oser) mag nur den wenigsten vergönnt sein.

Als wichtige Alternative oder Ergänzung zum „ästhetischen Verweilen“ empfiehlt uns Thomas Oser nun das „Wandeln“ , jetzt wirklich ein zwangloses Fortschreiten, das auch im Alltag  zur „Erfahrung des Schönen“ führen kann.  „Wir geben unsere Fixierung auf ein vorgegebenes Ziel auf und lassen uns auf einen offenen Prozess ähnlich  dem eines  sich selbst überlassenen Lauf des Wassers-mäandernd“ ein, lautet der Vorschlag. Das kommt uns bekannt vor.„Der Weg ist das Ziel“, dieser Gedanke aus dem Zen-Buddhismus ist ein schöner Aphorismus, den man wie  Thomas Oser nicht nur auf eine Art der Fortbewegung beziehen kann.

Nach einer besonders bewegten  Klanginsel führt der Philosoph in den altgriechischen Begriff des „Kairos“ ein. Das ist  ein Augenblick, in dem etwas Neues entstehen kann, positiv oder negativ. Der gleichförmige Ablauf der Zeit ist unterbrochen und der Moment der Entscheidung ist gekommen.

Die Chance , dem Kairos zu begegnen, stellt sich aber nur dann ein,sagt der Philosoph,wenn man mit offenen Sinnen durch die Welt geht. So fließt der Gedanke der Entschleunigung und des „Wandelns“ zusammen mit dem des Kairos, dem Augenblick, der neue Horizonte öffnet und zu einem Flow überleiten kann. Zwischen blindem Aktionismus und krankhafter Handlungsunfähigkeit kann  es zu einem gelingenden Wirken und Handeln statt zu Fehlentscheidungen und Burnout kommen.

Ob sich im  erfüllten Augenblick so etwas wie  „Seligkeit“ einstellen kann, bleibt allerdings fraglich. Aber Zufriedenheit, so mag der nicht philosophisch denkende  Besucher dieser Veranstaltung denken, allemal.