Facettenreiche Darstellung des Eros

Nürtinger Zeitung über das Nachtcafé "Eros"

Das erste Nachtcafé in der Alten Seegrasspinnerei zog das Publikum in den Bann

NÜRTINGEN (os). Mit dem Thema "Eros" stieß das erste Nachtcafé in der Alten Seegrasspinnerei in Nürtingen auf große Resonanz: Bis auf den letzten Platz war der Raum in der Plochinger Straße 14 gefüllt. Die Besucher, die zumeist älter als vierzig waren, reuten ihr Kommen nicht: Die angekündigten Gäste, Claudia Gehrke vom Konkursbuch-Verlag in Tübingen, und die Unternehmerin in tantrischen Massagen, Lea Söhner, zeigten in beeindruckender Manier ihre Kompetenz auf dem heiklen Feld. Zudem begeisterten die künstlerischen Einlagen, besonders die sinnlichen Tänze von Yvonne Wolf, das Publikum.

Erste Überraschung war die Raumdekoration: Rote Stoffe über Fenstern und Tischen sowie aphrodisische Früchte, Granatäpfel, Bananen und Feigen, zauberten eine anregende Atmosphäre in den Raum, der sonst vor allem als Kantine genutzt wird. Das Nachtcafé begann mit einigen erotischen Gedichten - unter anderem einem Lautgedicht von Ernst Jandl, das Friedrich Vieth aus Berlin mit betörender Lust intonierte. In seiner Einführung wies Moderator Thomas Oser darauf hin, dass Eros kein sporadischer Gast im menschlichen Leben sei, sondern uns von der Zeugung bis ins hohe Alter in den Bann schlage. Zur Veranschaulichung las er einen kurzen Text über das vielfältige Liebesleben in einem Senioren-Pflegeheim vor.

Der erste Gesprächsgast des Abends, Claudia Gehrke, war nicht wenigen im Publikum schon bekannt, ist doch ihr Konkursbuch-Verlag für Freunde der Erotik im deutschsprachigen Raum ein Begriff. Das Gespräch drehte sich zunächst um die Frage, was eine gelungene erotische Literatur auszeichnet. Gehrke nannte einen feinen Sinn für das, was sich im "Zwischen" zweier Menschen abspielt, und Humor. "Die Texte dürfen den Leser durchaus anmachen, müssen sich aber deutlich vom Niveau der Pornoheftchen abheben." Froh zeigte sich die Verlegerin darüber, dass inzwischen vor allem Frauen unbefangener mit dem Thema Sex umgingen: "Vor 25 Jahren, als ich meinen Verlag gegründet habe, ist es noch schwer gewesen, weibliche Autoren zu finden, die über ihre erotischen Fantasien geschrieben haben."

Zwischendurch las Gehrke aus dem "Heimlichen Auge" vor, dem von ihr herausgegebenen Jahrbuch für Erotik. Eine Erzählung handelte von einer alten Frau, die trotz schwerer Krankheit von ihrem sexuellen Begehren überwältigt wird. Die zweite, überaus amüsante Geschichte spielte auf der Toilette eines Schnellzuges, in welcher eine Reisende mit der Schaffnerin lustvoll zur Sache kommt.

Der zweite Teil des Abends gehörte dann zunächst Lea Söhner, die in Stuttgart das Dakini, ein Institut für tantrische und taostische Massagen, führt. Sie legte dar, dass Tantra eine uralte, aus Indien und Tibet stammende Religion sei, die die Sexualität nicht verdamme, sondern im Gegenteil heilige. "Tantrische Massagen sind sinnlich-erotische Massagen, die in Form eines genau festgelegten Rituals ausgeführt werden", sagte Söhner. Dabei blieben diejenigen, die massiert werden, ganz passiv, so dass sie sich ganz auf ihr eigenes erotisches Erleben konzentrieren könnten und es zu keinem sexuellen Kontakt mit der Masseurin komme.

Zu Söhners Kunden zählen nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Paare. Für Frauen böten tantrische Massagen, so die Unternehmerin, die Möglichkeit, ihr sexuelles Erleben unabhängig von einem Partner neu zu entdecken. Paare fänden dagegen Anregungen, wie sie ihrem erotischen Leben neue Impulse geben könnten. In Seminaren wird darüber hinaus das tantrische Wissen über Sinnlichkeit und Sexualität in Form von Kursen auch weitergegeben.

Sinnlich und geistig zugleich klang der Abend mit modernen orientalischen Tänzen und einer philosophischen Rede auf den Eros aus. Gehüllt in ausgefallene Gewänder bewegte sich Yvonne Wolf voller Anmut und Geschmeidigkeit im Raum und spielte mit silbernem Gehstock oder bunten Tüchern. Eingebettet in diese animierende Atmosphäre trug Thomas Oser einen Text Platons vor, in dem sich Eros als eine dämonische Macht zeigt, die den Menschen über die Sinnlichkeit hinaus zur Schau eines ideellen Schönen führt.

Noch bis Ende Februar sind in der Seegrasspinnerei die Antworten ausgestellt, die das Publikum des Nachtcafés auf die Frage "Wer oder was ist Eros?" gegeben hat. Darunter finden sich so poetische Äußerungen wie "Eros macht, dass ich auf dem Nacken dessen, der vor mir auf dem Moped sitzt, auf einmal sonnengebleichte Härchen entdecke" oder "Eros ist dieses aus der Pubertät bekannte Prickeln, bei dem ich daran erinnert werde, dass ich noch immer dieser dumme Junge bin".