"Unbezähmbar, ein wildes Tier!"

Nürtinger Zeitung über den Gesprächsabend "Vom Umgang mit dem Eros"

Talk-Runde im Zentralsaal befasste sich mit dem Phänomen Eros

NÜRTINGEN (heb). Zur ersten Veranstaltung "mit einer größeren Öffentlichkeitswirkung" begrüßte Moderator Thomas Oser am Donnerstag sein Publikum in den neuen Räumen des Kulturvereins Provisorium im K3N. Im Zentralsaal fand ein Gesprächsabend statt, der dem Umgang mit dem Thema und dem Phänomen, dem göttlichen Wesen und dem Schöpfungsprinzip Eros gewidmet war.

"Eros jagt mich . . . unbezähmbar, ein wildes Tier!" - mit einem Gedicht der antiken Lyrikerin Sappho suchte Thomas Oser die Einleitung in das Thema des Abends und erinnerte damit an die Herkunft des Begriffes Eros, der in der Mythologie der alten Griechen einen göttlichen Rang besetzte. Gleichzeitig beleuchteten gerade jene Zeilen die Ambivalenz dieses Ausdrucks eines Urtriebes, der sich zugleich schöpferisch und zerstörend auswirken kann.
Um den etwa dreißig Zuhörern eine Vorstellung zu geben, wie sich die unbändigen Wirkungen dessen, was mit uns unter dem Eindruck von Liebe, Verlangen und Sexualität geschieht, in ruhigere, bewusste und möglichst angstfreie Bahnen lenken lässt, hatte der Moderator vier Gesprächspartner eingeladen, die in ihrem jeweils neu geschaffenen Umfeld versuchen, Lebens- und Bewusstseinsformen zu finden, die ein Leben in relativer Unabhängigkeit und Freiheit erlauben.

Theresa Heidegger und Hermann Haring leben gemeinsam mit etwa 80 anderen in einem Wohnprojekt im brandenburgischen Belzig, das sich "Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung" oder kurz ZEGG nennt. Auf der anderen Seite der Bühne im Zentralsaal hatten Ines Winkler und Arno Pillwein Platz genommen, die bevorzugt an Wochenenden im Rahmen des Tübinger "Aeoni-Projektes" Seminare geben, in denen (beziehungs-)frustrierten Mitmenschen eine Chance geboten werden soll, über tantrische Erfahrungen und anthroposophisch-künstlerische Übungen zu einem neuen Umgang mit sich selbst und anderen zu kommen.

Alle vier Gesprächsteilnehmer wussten von gescheiterten Beziehungen im bürgerlichen Sinne zu berichten. Die beiden Männer wurden von ihren Frauen an die Luft gesetzt, weil sie die Stirn hatten, sich nebenbei eine (oder mehrere) Geliebte zuzulegen. Hermann Haring sucht nun auf experimentelle Weise die Gesellschaft so zu verändern, dass seinen polygamen Bedürfnissen nichts mehr im Wege steht. Seine ZEGG-Kollegin Theresa Heidegger möchte nach dem Ende einer langjährigen festen Beziehung zu einer Frau nun in Beelitz (dort befindet sich das Gelände, auf dem die rund 80 ZEGG-Angehörigen leben) die Vielseitigkeit ihrer sexuellen Orientierung ausleben. Arno Pillwein dagegen sucht die Befreiung von dem, wie er sagte, "vielspermigen Herumvagabundieren des polygamen Wesens Mann". Sein Credo (und darum geht es wohl allen Beteiligten, denn alsbald wird die Frage nach der spirituellen Deutung des Eros thematisiert) findet sich in der Abänderung eines Nietzsche-Zitates, wonach sich das Glück des Mannes nicht in der knappen Formel "ich will" finden lässt, sondern in dem an eine Frau gerichteten Vorsatz "Ich will dich!".

Beide Projekte wollen ihre Erkenntnisse und ihre Glückseligkeit selbstverständlich nicht als eine Art Geheimwissenschaft für sich selbst behalten, sondern sind durchaus bereit, nicht nur, wie am Donnerstagabend im Zentralsaal als Talkrundengäste, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nein, sie laden auch ein, an ihrem Gemeinschaftsleben als Gäste im ZEGG oder als Seminarteilnehmer im Aeoni teilzunehmen. Die Preise liegen bei 180 Euro für ein Wochenendseminar bei Aeoni, exklusive Übernachtung. Die ist im Preis für die Teilnahme an einem Sommercamp im ZEGG mit drin, die für acht Tage mit 365 Euro zu Buche schlägt.