Wilde Zugabenteuer und bleiche Härchen

Stuttgarter Zeitung über das Nachtcafe "Eros"

Eine Verlegerin und die Inhaberin eines Massageinstituts machen sich Gedanken zum Thema Erotik 

NÜRTINGEN (StZ). Eros nimmt vielerlei Gestalt an, und die Geschmäcker sind verschieden. Das war die nicht gerade neue Botschaft des Nachtcafes Erotik in Nürtingen (Kreis Esslingen). Als Werbung für Toleranz rund um ein heikles Thema war der Abend aber lehrreich und bunt.

Den einen macht dieses an, den anderen jenes. Deshalb durften die Zuhörer am Samstagabend in der Alten Seidenspinnerei selbst zum Zettel greifen und aufschreiben, was sie unter Eros verstehen. „Die Verkörperung aller erotischen Möglichkeiten, die das Universum bietet", notierte jemand. Die Assoziation einer „prall gefüllten, aufbrechenden Mohn-blüte" verband ein anderer mit der Frage.

Solch poetisch-erotische Gefühlslagen durchlebt - jedenfalls hin und wieder - auch die Tübinger Konkursbuch-Verlegerin Claudia Gehrke, die Nachtcafe-Moderator Thomas Oser eingeladen hatte. Ein sinnliches „Aahh, wie schöön!" kann für sie ebenso erregend sein, wie ein „Ich mach dich fertig, du kleine, geile Sau!" An manchen Tagen bevorzugt die Verlegerin „Texte, bei denen es zur Sache geht" - und bleibt dem Publikum eine literarische Kostprobe nicht schuldig.

Lustvolles im Krankenhaus
Eine ans Bett Gefesselte überkommen im Krankenhaus noch einmal längst verloren geglaubte Frühlingsgefühle. Die Seniorin schämt sich zunächst. „Ich bin doch schon zu Ende gef..., versteht ihr, es ist aus." Schließlich obsiegt die Natur über die Erziehung, und die Todkranke erlebt in allen Details noch einmal, was sie Jahrzehnte zuvor mit ihrem Liebhaber in lustvollen Stunden getan hat. „Ich bin gekommen, ich bin frei, es ist vorbei", so das Ende der Geschichte.

Für manche Gemüter liegen solche Geschichten unter der Gürtellinie. Oser lenkt das Gespräch auf den Vorwurf, dass Konkursbuch-Publikationen nicht erotische Literatur, sondern vielmehr Pornografie transportierten. „Sexualität ist vielschichtig und widersprüchlich", erwidert Claudia Gehrke, mit einem Pornoheft hätten die Veröffentlichungen nichts gemein. Zwar bewege man sich in einem Grenzbereich. Doch müsse man sich klar machen, dass „Sexualität nie zu dem harmlosen Garten werden wird, in dem alles nach festen Regeln passiert". Die traditionelle Zweierbeziehung hält die Verlegerin jedenfalls nicht für das rechte erotische Maß. „Das 1, 2,3 - Vater, Mutter, Kind, das funktioniert nicht, weil es zu eng ist."

Eine Frau braucht zwei Männer: So sieht es auch Lea Söhner, Inhaberin des Stuttgarter Massageinstituts Daikini und zweite Gesprächspartnerin im Nachtcafe. Die frühere Diakonin hatte gleich ihre beiden Gefährten mitgebracht. „Eine potente Frau braucht zwei Männer", sagt die Unternehmerin, die auf dem Land aufgewachsen ist. In ihrem Institut werden Männlein wie Weiblein, zusammen oder getrennt, nach allen Regeln der Tantra- und Taokunst durchgeknetet, wobei die sensiblen Stellen nicht ausgespart werden. Für einen Betrag zwischen 140 und 350 Euro pro Sitzung wird der zur Bewegungslosigkeit verurteilte „Körper als Tempel deiner Seele geachtet", wie es heißt. Unter den Händen kundiger Expertinnen entsteht Lea Söhner zufolge eine „hohe erotische Spannung". Und „wenn's der Mann will und die Frau will, und es ist stimmig, dann gibt's auch einen Orgasmus".

Den hatten - fiktiv - eine Frau namens Elvira und die Schaffnerin im Zug nach Hannover. Auch so eine der gehrkeschen Geschichten, die vorgetragen wurden. Für das Publikum indes ist Erotik nicht unbedingt mit wilden Abenteuern auf der Zugtoilette verknüpft. „Eros macht, dass ich auf dem Nacken dessen, der vor mir auf dem Moped sitzt, auf einmal sonnengebleichte Härchen entdecke", steht auf einem der Zettel.