Jürgen Roesners Werk „Wurzelschuhe“, zu sehen im Kirchheimer Kornhaus.

Jürgen Roesners Werk „Wurzelschuhe“, zu sehen im Kirchheimer Kornhaus.

Von „Heimatzwerg“ und „Wurzelschuhen“

Teckbote: Ausstellungseröffnung „Heimattreffen“ in der Städtischen Galerie im Kirchheimer Kornhaus

KIRCHHEIM: Mit dem vielschichtigen, viel besetzten Thema „Heimat“ konnten sich im Laufe dieses Jahres zahllose Künstler, nicht zuletzt auf Anregung der Kulturregion Stuttgart auseinandersetzen. Neben beschaulichen Vorstellungen von Heimat als „wärmender Nische“ und jeder Menge weltflüchtiger „Neo-Biedermeierei“ fand auch Originelles und vor allem Individuelles seinen Weg in die Galerien. So geschehen mit der aktuellen Ausstellung „Heimattreffen“ im ersten Obergeschoss der Städtischen Galerie im Kornhaus, in der sich die Kunstvereinsmitglieder Sabine Frasch, Angela Hildebrandt, Claudia Reisert, Jürgen Roesner und Regina Weber dem facettenreichen Thema stellen. Der Bogen reicht dabei von der Malerei und Collage, über die Fotografie, bis hin zur Installation und Skulptur.

Was ist Heimat? Besser gefragt, wo findet man sie?

Im Zuge seiner Einführung zur Ausstellungseröffnung brachte Thomas Oser den Denker der „radikalen Utopie“, Ernst Bloch, ins Spiel, dessen Diktum „Heimat ist da, wo noch niemand gewesen ist“ sich per se von „Rührseligkeiten“ und „falschen Anhänglichkeiten“ distanziert, vielmehr den Aufbruch zum völlig Neuen fordert.

So sei dem Laudator zufolge in den Bildern von Sabine Frasch „Heimat nie das einfach Vorgefundene, sondern wird in der Weite, in der Zukunft oder auch im Jenseits gesucht“. Wenn auch in Fraschs Malerei eine zunächst unwirtlich scheinende Großstadt-Tristesse zu dominieren scheint, sind es gerade die aus dieser Kulisse hervorbrechenden Momente – etwa ein Sonnenuntergang oder ein unergründliches Himmelsblau –, die dem Profanen Sakralität verleiht. Das Aufsuchen der Pathos-Formel in der Hängung als Triptychon tut sein Übriges.

Heimat als Frage: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wo sind Wir? „Schwebende Ungewissheit“ – so umriss Thomas Oser die Arbeit „Dass nicht nichts – Haus und Rosengarten“ von Angela Hildebrandt. Mit Mitteln der Reduktion, Abstraktion und Inversion werde hier ein zweifelhaftes Idyll beschworen, im Licht eines eher „fraglichen, trügerischen Scheins“. Wieder einmal setzt sich die Künstlerin mit der durchaus existenziell zu nennenden, Schönheit und Schrecken vereinendenden Problematik des Entschwindens auseinander. Mit klarer, daher minimalistisch anmutender Formensprache stellt sie die Frage nach Sein und Nicht-Sein. Heimat wird bodenlos und transzendent zugleich.

Transzendenz mag auch – folgt man den Worten des Einführenden – ein näherndes Stichwort zu den Werken von Jürgen Roesner sein. In seiner Installation „Hirschfrau mit Koffer“ verweist er auf Schicksale der unmittelbaren Nachkriegszeit, auf Flucht und Vertreibung. Auf die Frage, wo Heimat zu finden sei, wenn sie konkret verloren wurde, habe der Künstler geantwortet: „Im eigenen Inneren, in der geistigen Zuwendung zum Himmel.“ Dennoch verliert, wie der Laudator zurecht feststellte, Roesner den Blick fürs Diesseitige nicht aus den Augen, wie es zum Beispiel seine von starker Bodenhaftung geprägte Arbeit „Wurzelschuhe“ unmissverständlich vor Augen führt. Und spätestens im Gegenüber mit Roesners „Heimatzwerg“ wird dem Betrachter deutlich, dass bei aller Ernsthaftigkeit dem Künstler auch Humor und Ironie nicht fremd sind.

„Wenn du lange genug an einem Ort verbringst, fängt all das an durch dich hindurchzuscheinen“, sagt Claudia Reisert, die in ihren Bildern die für sie prägende Landschaft des Albtraufs mit Stimmungen, Menschen und deren Geschichten durchsetzt. Oser wies darauf hin, dass es sich jedoch nicht um nostalgische Sehnsucht handle, eher um eine „über alle Zeiten hinweg gefühlte tiefe Verbundenheit“, die sich in den Arbeiten Bahn breche. Diese „mythische Dimension“ komme im Zyklus „Sybille schweigt“ zum Ausdruck. So bodenständig Heimat auf den ersten Blick erscheine, habe sie Osers Ansicht nach auch einen „feinsinnig geistigen Tiefenraum, in dem sich die äußere Landschaft mit ihren Menschen innerlich spiegelt“.

Ein „Gehäuse für die Sehnsucht“ hat die Bildhauerin Regina Weber im Kornhaus errichtet. Eine Stahlplastik, übermannshoch, deren – trotz vorhandenen Öffnungen – verborgen bleibendes Inneres die im Titel proklamierte Sehnsucht überhaupt erst generiert, ein zum Greifen nahe liegendes Geheimnis in sich zu tragen scheint, sich jedoch jedwedem direkten Zugriff verstellt. So nah und doch so fern – Heimat als Fluchtpunkt im Unendlichen. Im Rahmen der Ausstellung „Heimattreffen“ sind zudem Jahresgaben von Angela Hildebrandt, Ria Kustermann, Jeanette Fink, Hannelore Weitbrecht und Samy Virmoux zu sehen und zu erwerben. Die Ausstellung des „Heimattreffens“ des Kirchheimer Kunstvereins im Kornhaus läuft bis einschließlich Sonntag, 6. Januar.

FLORIAN STEGMAIER