Antwort auf die Frage des Tigers: „Ich bereite vor"

Teckbote über die Vernissage zu der Ausstellung "Die Frage des Tigers"

AUSSTELLUNG / Malerei, Relief und Zeichnung des Künstlerehepaars Reisert im Kornhaus


KIRCHHEIM - Leuchtende Tiger, Pferde, Ochsen, Hirsche, Delfine, Urviecher und anderes Getier tummelt sich derzeit im 1. Obergeschoss des Kirchheimer Kornhauses. Groß und bunt, in verklärten Farben nehmen sie ihren Platz ein, zwischen Objektkästen, Betonreliefs und Computergrafiken.

Zwei Mitglieder des Kirchheimer Kunstvereins stellen ihre Werke aus: Das Künstler-Ehepaar Claudia Rei-sert und Bernd Mückain-Reisert, zum ersten Mal in einer Doppelausstellung. Begrüßt wurden die Ausstellungsbesucher von Johannes Nagel vom Kirchheimer Kunstverein.. Mit der Ausstellung der Arbeiten des Ehepaars Claudia Reisert und Bernd Mückain-Reisert zeigt der Kirchheimer Kunstverein den Trend der aktuellen Kunstszene, wie er momentan auch auf der Art Cologne zu sehen ist.

Was ist nun aber die Frage des Tigers, die der Ausstellung den Titel gegeben hat? Thomas Oser beschreibt in seiner Einführung eine Szene aus einer Erzählung von Erwin Wickert, in der ein Jäger unvermittelt einem Tiger gegenübersteht. Der Tiger rührt sich nicht und scheint zu fragen „Bist du bereit?"

Das Tigerbild, wie es Claudia Reisert gemalt hat, könnte fast eine Illustration dieser Szene sein. Kraftvoll und ruhig steht er da, konzentriert visiert er sein Ziel an. Doch nichts deutet darauf hin, dass er gleich losspringt, es geht keine Bedrohung von ihm aus. Die Farbigkeit des Bildes lässt die Situation verspielt und unbeschwert erscheinen. Die Tiere von Claudia Reisert wirken mit sich zufrieden, jedes in seinem Bereich; oft ist etwas Mystisches, Rätselhaftes auf den Bildern zu entdecken, das auch Interpretationsmöglichkeiten zulässt.

Mit Acrylfarben aus die Leinwand gebracht, unterstreicht die Farbgebung das Wesen der Tiere. Ihre Vielseitigkeit stellt Claudia Reisert auch mit anderen Techniken unter Beweis: Aquarelle, Linoldrucke, computerbearbeitete Unikate, Objektkästen mit allerlei Fund- und Sammelstücken: Federn, Holz, Muscheln, Wolle, Figuren, Steine; mit allem lässt sich ein Bild gestalten. Eine unerschöpfliche Vielfalt an Formen und Farben zeigt das unendlich erweiterbare Kaleidoskop von 48 Mustern. Jedes ist einzigartig und zeigt die Unendlichkeit der Welt auch in ihrer Gestaltung.

Eine ganz andere künstlerische Ausdrucksform zeigt Bernd Mückain-Reisert: reduzierte geometrische oder andere elementare Formen auf schwarzen Grundflächen aus Zement, Gips oder Teerpappe. Angeregt durch eine indische Schöpfungsgeschichte entstanden Platten aus weißem Betonguss, bei denen die Farben in Reliefs umgesetzt wurden. Ein immer wiederkehrendes Motiv bei den Arbeiten von Bernd Mückain-Reisert ist der Kreis: als feinste, fast unsichtbare Strukturen, als in Metall gegossene Punkte, Beton-Reliefs, Monotypien, die als Meditationsbilder zur Einkehr in die Stille einladen. Bei den drei Spitzen aus Eisen, die Bernd Mückain-Reisert Kraftfeld nennt, nutzt er auch die malerischen Effekte, die beim Abkühlen von bearbeitetem Eisen entstehen.
 
So gegensätzlich die Arbeiten des Künstler-Ehepaares auch sind: es ist nicht als Widerspruch zu sehen, sondern als Ergänzung. Thomas Oser: Wie antwortet nun aber die Kunst auf die Frage des Tigers? Nicht mit einem „Ja ich bin bereit". Denn dann bedürfte es der Kunst nicht mehr. Aber sie antwortet auch nicht mit „Nein", vielmehr erwidert sie: „Ich bereite vor". Sie bereitet darauf vor, dem Tiger in die Augen zu schauen - ohne entsetzt zu erstarren, aber auch ohne das Tier abknallen zu wollen. Sich frei von Angst dieser Begegnung hinzugeben - darum geht es. Was dann mit uns geschieht ist ein Geheimnis.

REGINA KOPF