Dieser Hölderlin wird „teilweise ruppig“

Nürtinger Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Reutlinger Nachrichten zur bevorstehenden Uraufführung von "manía"

Das „Theater existenziell“ präsentiert nächste Woche „Manía – Fragmente aus dem Seelenleben des Friedrich H.“

NÜRTINGEN (heb). Nach „Bernarda und ihre Töchter“ nahmen Isabella Horváth und Thomas Oser dieses Jahr nun ihre zweite gemeinsame Regiearbeit in Angriff. Am Freitag, 19. Dezember, findet im Zentralsaal der Stadthalle Nürtingen die Premiere des Stückes „Manía – Fragmente aus dem Seelenleben des Friedrich H.“ statt, mit dem das „Theater existenziell“ Einblicke in die Welt des Dichters Friedrich Hölderlin geben will. Gestern standen die beiden Regisseure, Bühnenbildner Till Bertram und Hauptdarsteller Klaus Nägele für ein Pressegespräch zur Verfügung.

Der altgriechische Begriff „manía“ oszilliert zwischen krankhaftem Wahnsinn und göttlicher Begeisterung. Damit, heißt es in einem Exposé der Theatergruppe, beschreibe er treffend das Leben des in Nürtingen aufgewachsenen Poeten. Das Stück geht von Hölderlins Zeit im Tübinger Turm aus und beleuchtet von da seine Lebensgeschichte, in der seine Liebe zu Susette Gontard (Diotima) eine zentrale Rolle spielt.

Auch seine Dichtung, in der er sowohl die Tragik der modernen Zeit als auch seine Vision einer alles verbindenden Liebe ausgedrückt hat, wird von vier Schauspielern, einer Sprecherin und einem Kontrabassisten in eine szenische Bild- und Bewegungschoreografie übersetzt. Darin spielt Klaus Nägele den Dichter in der Zeit vor seinem über 30-jährigen Aufenthalt im Turm der Schreinerleute Zimmer. Er empfindet sich in der Rolle als eine Art Alter Ego der „laufenden Zeit, wie sie sich in Hölderlins Innenwelt abspielt“. Nach dem Einzug in den Turm schlüpft Clemens Bregger in die Rolle des alternden Poeten.

„Die Liebe Hölderlins zu Susette Gontard“, schildert Isabella Horváth den Ansatz der Regie, „war für uns der Ausgangspunkt, den wir bewusst der Dynamik der Zeit entgegensetzen wollten.“ Dabei haben die Theatermacher keineswegs vor, etwas oder jemanden zu idealisieren, im Gegenteil: „Unser Hölderlin wird teilweise recht ruppig und unzugänglich sein“, meint Thomas Oser zu einem Mann, dessen Leben besonders im Tübinger Turm durch eine Vielzahl von Briefen und Abrechnungen des Schreinermeisters Zimmer an die in Nürtingen lebende Mutter des Poeten sowie Besuchsberichte des eine Generation jüngeren Schriftstellers Wilhelm Waiblinger nahezu lückenlos dokumentiert ist.

„Wir setzen diesmal mehr auf Bilder als in unserem bisher üblichen Sprechtheater“, kündigt seine Regie-Kollegin Horváth ein Experiment an, dessen Charakter auch die Wahl des neben dem Zentralsaal gelegenen Schauraums als „Bühne“ begründet. Sie macht aber deutlich, dass „die experimentelle Arbeitsweise“ keinesfalls zu Lasten der Schauspieler gehen solle. Nägele erklärt: „Es ging darum, die Texte in die Choreographie hineinzuarbeiten.“ Ergänzt wird die Szenerie am Freitag, 20 Uhr, durch einen Bassisten. Man darf gespannt sein, denn, wie Isabella Horváth gestern sagte, versteht das „Theater existenziell“ den Wahnsinn des Dichters „nicht als Krankheit“.

 

Ulrich Stolte von der Stuttgarter Zeitung schrieb am 18.12.2008:

Tage des Zorns
Kranker Hölderlin im Keller

NÜRTINGEN. Auch das Theater Existenziell aus Nürtingen kann sich dem Faszinosum des wahnsinnigen Hölderlin nicht entziehen. In seinem neuen Stück "Mania" wird der eingeturmte zornige Dichter in einen Keller versenkt.

So ziemlich jeder hat seinen eigenen Hölderlin: Die Poeten lieben seine Sprachgewalt, die Philosophen sein geistiges Gebäude, die Empfindsamen mögen seine unglückliche Lebensgeschichte, und auch das Theater Existenziell aus Nürtingen hat seinen eigenen Hölderlin gefunden: den Hölderlin des Zorns.

Die Theatertruppe um Isabella Horwáth und Thomas Oser wird am kommenden Wochenende mit ihrem Stück "Mania" Premiere feiern. Das griechische Wort Mania gilt dem Theater Existenziell nicht nur als Begriff für den göttlichen Wahnsinn eines Dichters, in dem er seine Ideen findet. Es bedeutet auch die pathologische Manie und damit den kranken und gewalttätigen Hölderlin. Der schon im Tübingen im Karzer saß, weil er einem Klosterfamulus den Hut vom Kopf schlug, und der im Homburger Gefängnis schmachtete, weil er für einen Jakobiner gehalten wurde. Gerade in den 32 Jahren seines Lebens im Tübinger Turmzimmer beim Schreinermeister Ernst Zimmer gab es Tage, in denen er schlichtweg ausrastete.

Diese Zeit im Turm setzt das Theater Existenziell um. Es bespielt einen gruftartigen Kellerraum im Zentralsaal in Nürtingen, der keine Fenster hat, aber fünf Meter hoch ist und mit seinen Betonwänden hallt wie eine Bahnhofsunterführung. Droben an der Decke soll Hölderlin in seliger Grazie wandern und von seinem Hölderlinturm herab sprechen, drunten wird sein Gastgeber Ernst Zimmer an der Hobelbank schwitzen und ihm antworten. Drei Schauspieler spielen derweil das Innenleben des wahnsinnigen Dichters in wechselnden Masken und Figuren. Einen Goethe gibt es, einen Herzog Carl Eugen, eine Mama Hölderlin und natürlich eine Diotima, Suzette Gontard, die unsterbliche und tragische Liebe des Dichters.

Isabella Horwáth ist Bewegungstherapeutin, und so soll das Stück weniger durch die Sprache als durch den Ausdruck geführt werden. Den zentralen Konflikt am Anfang stellt natürlich die unglückliche Liebe dar, die den Lebensweg des Dichters zerbrach. Genau 30 Hölderlinzitate sind zu hören, die nicht nur den Zorn des Kranken spiegeln, sondern auch seine bittere Einsamkeit nach der Zeit im Tübinger Stift, als er sich als Hauslehrer und Bibliothekar durchschlagen musste. Eine Einsamkeit, die er zwar dichterisch überwinden konnte in seiner Vereinigungsphilosophie, nicht aber in seinem praktischen Leben.

Kathrin Kipp von den Reutlinger Nachrichten schrieb am 15.12.2008


Dichters Zorn als dionysische Kraft
Das Nürtinger "theater existenziell" zeigt ein Stück über Hölderlin - Premiere am 19. Dezember

Mit einer Schauspiel-, Bewegungs-, Text- und Video-Collage "manía - aus der Welt Friedrich Hölderlins" will die freie Nürtinger Gruppe "theater existenziell" dem Dichter tief unter die Haut schauen.
KATHRIN KIPP
 
Das Hölderlin-Team: (von links) Klaus Nägele, Isabella Horvath, Thomas Oser und Bertram Till. Foto: Kathrin Kipp

Nürtingen  Das Hölderlinstück ist nun schon die zweite Produktion der Theatergruppe "engagierter Laien" nach "Bernarda und ihre Töchter" im Jahr 2007. Isabella Horvath, Theaterregisseurin und Integrale Tanz- und Ausdruckstherapeutin, sowie Thomas Oser, Theaterregisseur und Philosoph, führen dabei gemeinsam Regie. Generell wollen sie sich mit ihren Stücken mit "existenziellen Fragen wie Liebe, Eros und Tod" auseinander setzen, mithilfe von Tanz, Schauspiel, Bewegung, Stimme und Text.
 
Für den Fall Hölderlin haben sie außerdem den Videokünstler Bertram Till ins Boot genommen, der die Motive des Stücks mit Projektionen mediatisiert und verstärkt. Überhaupt arbeite die Inszenierung viel mit Bildern und Bewegung und weniger mit Texten, erklärt Horvath, auch wenn 30 Verse des Dichters Eingang ins Stück finden.

Dazu geht die Schauspieltruppe erstmals für ein Theaterstück in den kleinen, dafür umso höheren "Zentralsaal" unter der Stadthalle, der eigentlich für Kunst-Ausstellungen und Installationen vorgesehen und für Theaterabende nur bedingt geeignet ist. "Aber genau diese Widrigkeiten wollen wir", sagt das experimentierfreudige Ensemble.
 
Das Stück spielt nämlich nicht nur inhaltlich auf mehreren Ebenen, sondern auch räumlich: Auf einer Art Galerie, dem Tübinger Turm nachempfunden, agiert die historisch-biographische Hölderlin-Figur. Sie steht im Dialog mit dem Tischler Ernst Zimmer, der Hölderlin "beherbergt" hat und im Theaterstück unterhalb des Turms agiert - mit mehr Bodenhaftung.
 
Im Stück geht es auch um Hölderlins "Wahnsinn", altgriechisch "manía", der vom Ensemble im Sinne von "krankhaftem Wahnsinn" als auch "göttlicher Begeisterung" verstanden werden will. Deshalb passe auch der unterirdische und fensterlose Raum so gut zum Stück, finden die Regisseure, die dem "unterirdischen Seelenleben Hölderlins" nachspüren wollen. Das Stück spielt in der zweiten Lebenshälfte Hölderlins, in seiner Tübinger Turmzeit. Und neben Ernst Zimmer treten noch weitere Figuren auf, reale Personen, wie seine Geliebte Susette Gontard, Goethe, der Herzog von Württemberg oder seine Mutter. Aber auch mehrere "innere Figuren" Hölderlins, mit denen sich eine Art "innerer Film" abspielt.
 
Mehrere Schauspieler teilen sich die Rollen, zwischen denen sie hin und her wechseln. Dabei sollen sowohl Kenner als auch Nichtkenner der Materie Neues an der Figur Hölderlin entdecken und assoziieren können. Das Stück spielt mit Bildern und Motiven aus dem Leben des Dichters, es geht ums "Getrenntsein des Menschen von sich selbst und der Natur" oder auch um den "Zorn auf die Welt", so Oser.
 
Bei "theater existenziell" sei dies allerdings eine Art "heiliger Zorn", mit "viel kreativem Potenzial, etwas zu verändern", so Horvath, ein "reinigender, furchtbarer wie fruchtbarer Impuls" und eine "dionysische und transformative Kraft". Sie wollen jedenfalls ein anderes Hölderlin-Bild vermitteln als das des "lieblichen und melancholischen Heimatdichters". Denn als solcher wird Hölderlin, der in Nürtingen unter anderem die Lateinschule besucht hat, gerne mal touristisch vermarktet. Horvath jedenfalls hat einen viel "ruppigeren" Hölderlin vor Augen. Und über die existenzielle Inszenierung mit viel Körpersprache und sinnlichen Medien (Musik: Niklas Deeg am Kontrabass) will man "mehr Tiefe" erreichen als mit einer "rein intellektuellen Auseinandersetzung".