Klaus Nägele als Hölderlin und Meike Müller als Suzette Gontard beim Tête-à-tête. heb

Hölderlin und die Frauen

Nürtinger Zeitung über die Uraufführung von "manía - aus der welt friedrich hölderlins"

Gelungene Premiere eines Hölderlinstücks des „theaters existenziell“ in den Räumen des Provisoriums

„Manía“ ist griechisch und meint sowohl den krankhaften als auch den göttlichen Wahnsinn. Möglich, dass sich in der Person des in Nürtingen aufgewachsenen Dichters Friedrich Hölderlin beide Spielarten vereinigt vorfanden. Die Annahme, dass mit dem Verlust seiner „Diotima“ in der Innenwelt des Poeten und Philosophen eine irreparable Störung des Gleichgewichts zwischen den beiden Polen der „Manía“ stattgefunden habe, nahmen Isabella Horváth und Thomas Oser zum Ausgangspunkt ihrer gleichnamigen Dramatisierung dieser von einer lebenslang problematischen Beziehung zu Frauen geprägten Innenwelt Hölderlins.
Am vergangenen Freitag fand in den Räumen des Nürtinger Kulturvereins „Provisorium“ eine Premiere statt, in der die Laienspielgruppe „theater existenziell“ ihr eigentliches Stück in den Rahmen einer Merchandising-Show stellte. Nach dem Erfolg von „Bernarda Albas Haus“, mit dem die Theatermacher Horvath und Oser in den vergangenen Jahren ihrer Neigung zum Sprechtheater nachgegangen waren, präsentieren sie zum Ende des Jahres 2008 nun ein Stück, in dem die Gestik bis hin zum tänzerischen Ausdruck den Worten einen untergeordneten Rang zuweist. Ausgesuchte Hölderlin-Verse fügen das Geschehen auf der Bühne des zum Amphitheater umgestalteten Schauraums im Untergeschoss der Stadthalle in einen Rahmen, der mit Hölderlins Einlieferung in die Irrenanstalt beginnt und eine innere Rückschau auf die Beziehung zu Suzette Gontard umschließt. Drei in Zellophantüten verpackte Wesen Hocken auf der Bühne und warten, bis der „Beobachtungsposten“ im Turmzimmer bezogen ist. Dort steht, hockt, windet sich der Dichter, weint und lacht über die Dinge, die sich vor seinem inneren Auge abspielen. Hölderlin alias Clemens Bregger beobachtet gespannt, wie sich, gespielt von Meike Müller, Ulrich Eggert und Klaus Nägele, allmählich die wichtigen Bezugspersonen seiner „weltlichen“ Existenz aus ihren Kokons herausschälen: Da sind die Mutter („Gell, Buale, du wirsch Pfarrer, sonschd kannsch dr dei Erbe sonschd wo na stecka“), Suzette alias Diotima („Ich weiß nicht, was ich tun soll“) sowie Herzog, Vater und Goethe in einer Person, als Widersacher seines Freiheitsdrangs und Ziele seines Durstes nach Anerkennung. Und da ist er selbst, der Choleriker mit sanguinischen Zügen von Jugend an, der daran scheitert, dass sein sozio-ökonomisches Umfeld entweder zu starrsinnig (Mutter), zu zaghaft (Geliebte) oder herablassend (Goethe) auf seine hochfliegenden Gedanken und Pläne reagiert, ihnen nicht folgen kann (Goethe, Suzette) oder will (Mutter, Herzog).
Zwischen Hölderlins Abschied von Suzette Gontard und seiner Einlieferung liegen bekanntlich Aufenthalte in (Bad) Homburg und Bordeaux, von wo er nach einer sicherlich ereignisreichen Rückreise zu Fuß innerlich zerrüttet in Nürtingen ankam und bald darauf zunächst in der Autenrieth’schen Nervenklinik, später im Zimmer’schen Turm am Neckarufer Aufnahme fand. Möglicherweise war es eine Anspielung der Regie auf den französischen Aufenthalt des Dichters, dass die Innenverkleidung des Turmzimmers, wie auch das Kleid, in dem ihm Diotima am Ende des Stückes als bereits idealisierte Figur begegnet, aus burgunderrotem Brokat gefertigt sind.
Damit findet das abwechslungsreiche Kulturprogramm des „Provisoriums“ einen weiteren Höhepunkt, denn die Arbeit des „theaters existenziell“ bietet Freunden des Theaters wie auch den an der Person Friedrich Hölderlin Interessierten zwar nichts Neues, aber eineinhalb Stunden guter, ja zuweilen richtig spannender Unterhaltung. Auch was die Amateurtruppe auf mimischem Gebiet abzuliefern weiß, kann sich durchaus sehen lassen.
Heinz Böhler