Ein Theaterabend, der keinen kalt ließ: Die Mimen der Gruppe Improvisieren spieltenüberzeugend. heb

Ein Theaterabend, der keinen kalt ließ: Die Mimen der Gruppe Improvisieren spieltenüberzeugend. heb

„Fatale Unterdrückung von Lust und Liebe"

Nürtinger Zeitung und Teckbote über "Bernarda und ihre Töchter"

Die Theatergruppe Improvisieren spielte am Wochenende mit großem Erfolg in der Seegrasspinnerei

NÜRTINGEN. So lange kommt mir nicht einmal der Wind von der Straße ins Haus, setzt Donna Bernarda Alba versteinerten Gesichts die Regeln für die Trauerzeit um ihren eben verstorbenen Mann Pedro. Das bedeutet auch für ihre fünf mannbaren Töchter eine acht Jahre währende Kontaktsperre zur Außenwelt. So weit folgten Isabella Horvath, Thomas Oser und ihre Theatergruppe der Handlung von Federico Garcia Lorcas Drama Bernarda Albas Haus, um dann am Samstag und Sonntag in der Alten Seegrasspinnerei einen selbst  erarbeiteten Fortgang des Geschehens darstellerisch zu unterbreiten. Die Musik dazu lieferte nach Motiven von Garcia Lorca der Kirchheimer Gitarrist Georg Lawall.

Garcia Lorca, der 1936 von den faschistischen Schergen des späteren Diktators Francisco Franco ermordet wurde, wollte mit seinem Stück auf die Unterdrückung der Frauen in Spanien aufmerksam machen, was ein Happy-End unstatthafterscheinen ließ. Die Gruppe Improvisieren um Oser und Horvath rückte nun unterdem veränderten Titel Bernarda und ihre Töchter die fünf jungen Frauen in den Mittelpunkt eines Traumes, der mit einer Begegnung Bernardas mit ihrem Mann endete.

Diese Begegnung ließ Sybille Janasch-Eisele als Bernarda wie eine sanfte Feder über ihr Gesicht streichen und die verhärteten Züge darin lockern. Der Traumdialog mit dem von Wilfried Sigloch dargestellten Gatten Pedro öffnet ihr die Augen für die von missverstandenem Stolz und fehlinterpretierten Traditionen hervorgerufene Entfremdung, die offenbar keiner von beiden gewollt hatte. Davor hatte sie das Schicksal jeder Tochter im Traum gesehen. Darin haben weder Angustias und Magdalena noch Amélia, Martirio und die jüngste, Adela, nach den acht erzwungenen Trauerjahren ihr Glück gefunden. Eindrücklich schildert die Magd LaPoncia (Stefanie Sochart-Damitz), wie die mannlose Weibergesellschaft sich zu einer feindseligen, sich gegenseitig belauernden Hyänenschar entwickelt hat, schildert auch die kindliche Entwicklung der Geschwister.

Im Unterschied zu Garcia Lorca erscheinen die (Traum-)Männer in den Auftritten derTöchter real, schließlich ist zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht klar, dass diese Episoden Teil eines Traumes sind. Uschi Flaig (Angustias), Alexandra Germann als Magdalena, Susanne Reichert, die die traumverlorene Amélia verkörperte, Jutta Pohlals Martirio und Melanie Teufel (Adela) wirkten, wie Produzent und Mitautor Thomas Oser mitteilte, bei der Rollenfindung der von ihnen gespielten Protagonistinnen mit, indem sie sich vorstellten, dass sie selbst unter solchen extremen Entwicklungsbedingungen auf Männer und diese wiederum auf sie reagiert hätten.Nicht zuletzt aus diesem Grund wirkte die (teilweise Selbst-) Darstellung der Freizeitschauspielerinnen umso überzeugender. Das Todesopfer in der Version der Gruppe Improvisieren hieß denn auch nicht Adela, wie bei Garcia Lorca, sondernPepe, verkörpert von Günter Zogelmann. Doch auch dieser Tod ist eine Ausgeburtdes langen Traumes Donna Bernardas, die, kaum erwacht, bevor der Vorhang fällt,ihre Töchter zu sich ruft und ihnen die Keuschheitsgürtel abnimmt. Doch die in deren Gesichter eingegrabenen Gefühle von Hass, Misstrauen und Bosheit lösen sich nicht so leicht. Ihr Schicksal bleibt offen.

Kaum einen der zahlreichen Besucher in der ausverkauften Kultur-Kantine der Alten Seegrasspinnerei dürfte diese Geschichte um die fatalen Folgen der Unterdrückung von Lust und Liebe kalt gelassen haben, und wenn doch, konnte er sich damit trösten, mit der musikalischen Untermalung des Stückes durch Georg Lawall fast so etwas wie ein Konzert spanischer Gitarrenmusik erlebt zu haben. Zudem zeigt sich in der erfolgreichen Zusammenarbeit der Gruppe Improviseren, dass zumindest auf der basis-kulturellen Ebene gemeinsame Aktionen von Kirchheimer und Nürtinger Hobby-Künstlern durchaus Früchte zu tragen imstande sind. Die Zuschauer jedenfalls waren begeistert. Heinz Böhler

Derselbe Artikel erschien am 26.7.07 unter dem Titel „Wenn Frauen zu Hyänen werden" im Teckbote.