Amanda Chominsky und Thomas Oser im Schlosskeller Foto: heb

Amanda Chominsky und Thomas Oser im Schlosskeller Foto: heb

"Soll ich deine Backen auspacken?"

Nürtinger Zeitung über die Premiere "Lock- und Liebesgedichte"

Im Schlosskeller drehte sich alles um Lock- und Liebesgedichte

NÜRTINGEN. Lyrik als Pheromon-Äquivalent ein ganz neuer Aspekt für Biologen und Sprachforscher, und doch schon uralt. Beispiele aus der Literatur der zwei jüngst vergangenen Jahrhunderte brachten am vergangenen Samstag Amanda Chominsky und Thomas Oser im Theater im Schlosskeller zu Gehör. Von Hölderlin über Ringelnatz bis Peter Rühmkorf und Ernst Jandl reichte die Palette der Lock- und Liebesgedichte des Nürtinger Duos, die von Amanda Chominskys Flötentönen mit einer feinen Tonal-Ornamentik umsponnen wurden.

Willst Du meine Schrippen bestrippen? / Soll ich Deine Backen auspacken? Gedämpfte Erregung schwingt in seinem Fragenpaar mit, während sie den Blick scheu zu Boden sinken lässt. Willst Du meine Stellen abpellen? / Soll ich Deine Flecken entdecken? Empört nimmt sie einen Schritt Abstand. Willst Du meine Axeln bekraxeln? / Soll ich deine Haxen befaxeln? Zögernd versucht sie sich weiter zu entfernen, doch er nimmt witternd die Verfolgung auf, wird immer bedrängender mit seinen verfänglichen Fragen. Nach und nach wird ihr Widerstand schwächer und am Ende von Jan Konnefkes Locklied versinkt ihre Antwort in Dunkelheit und Stille.

So szenisch wurde Thomas Osers von der aus Australien stammenden Flötistin Amanda Chominsky musikalisch mitgestaltete Lesung zwar nur selten, doch das machte der in Oberensingen aufgewachsene Nürtinger locker durch eine ebenso überzeugende wie wirkungsvolle Mimik und Stimmdynamik wett. Allein die Fähigkeit, sich 23 teilweise nicht ganz einfache und darüber hinaus zuweilen ellenlange Gedichte auf Abruf ins Gedächtnis zu stellen, verdient Bewunderung. Thomas Oser sprach sowohl Friedrich Hölderlins Hymne an Diotima wie die in das Liebes- und Lock-Programm aufgenommenen Texte von Rilke, Kästner, Gernhardt und Morgenstern ebenso frei wie H. C. Artmanns mylady mit dem blauen hut oder Alexander Dreppecs Lädierter Lattenrost frei. Einzig bei Ernst Jandls viel vieh steckte ihm seine Partnerin auf halber Strecke einen verschlossenen Umschlag zu, den er alsbald öffnete, um das Sprachspiel um eine heiß begehrte Sofie zu Ende zu deklamieren. Diese Volte schien jedoch eher der szenischen Wirkung geschuldet als einer Gedächtnislücke des Rezitators.

Zwischen den Gedichten verstreut, zeigte Amanda Chominsky eine enorme Bandbreite instrumenteller wie musikalischer Kompetenz, wovon einige der Besucher sich bereits am vorletzten Samstag in der Kreuzkirche beim Brecht-Konzert des Nürtinger coro per resistencia einen Eindruck hatten verschaffen können. Stücke von Francois Gossec und Mozart woben sich ebenso fein und anregend in den amourösen Kontext wie moderne Kompositionen eines Gabriel Fauré oder Claude Debussy.

Was, wenn die Liebe aus ist? Kästner beschrieb die Situation so: Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut), / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut. Oft jedoch bewirkt der Tod eines Partners das Ende einer Liebe. Auch diesem Fall trugen die Künstler Rechnung und ließen den Schmerz in ihr Programm einfließen, den die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker über den Verlust ihres verstorbenen Ehemannes Ernst Jandl litt: Ich würde alles tun für dich, wenn / du nur lebtest rief Thomas Oser dem Meister des Silbenspiels mit den Worten der Witwe nach, wohl wissend, dass in der Liebe nichts auf Dauer perfekt sein kann: Weinen / würden wir trotzdem oft, weil / der Abschied noch vor uns läge. Heinz Böhler